14
Nun ging die Katze auch zu dem Spitzchen und sagte ebenso.
Aber der Spitz wollte keine gestohlene Bratwurst essen und wollte
auch nichts mit der spitzbübischen Katze zu thun haben. „Nein,"
sprach er, „du Betrügerin, du Diebin, ich begehre keine Brat-
wurst von dir." Und er faßte sie am Ohr und führte sie in
die Küche und erzählte da alles, wie es gewesen war. Da wurde
der Katze die Bratwurst abgenommen, und sie bekam tüchtige
Schlage, weil sie in die Speisekammer geschlichen war und gestohlen
hatte. Das Möpschen uitb das Pommerchen wurden ansgeschol-
ten und bekamen den Tag nichts zu essen, weil sie den Diebstahl
verheimlicht hatten. Der Spitz aber wurde gelobt und bekam
die ganze Bratwurst zur Belohnung.
23. Hund und Katze.
«ss im.)
Zum Herrn kam Hund und Katze herein,
verklagten einander mit Heulen und Schrei'n:
„Hund hat mich so sehr ins Bein gebissen!" —
„Und mir hat Kätzchen die Nase zerrissen!" —
„Hund hat in der Küche genascht den Braten!" —
„Das Kätzchen ist über die Milch geraten!"
Was sagte der Hausherr zu ihrem Streit?
Er suchte den Stock, der war nicht weit.
Ihr habt euch beide einander nicht lieb,
und eins wie das andere ist ein Dieb!
Drum mögt ihr beide euch nur bekehren,
sonst soll der Stock euch Besseres lehren!
Wenn sich nun zwei nicht können vertragen,
so heißt es von ihnen bis zur Stund':
Sie leben zusammen wie Katz' und Hund.
24. Die Zeit.
(O Schulz.)
Wir teilen Tag und Nacht in 24 Stunden. Den Tag fangen
wir um Mitternacht an zu zählen, von da bis zum Mittag sind
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21
Und Nun das Häschen all der Wand,
seht, wie's die Ohren stutzt!
Jetzt läuft es fort, jetzt hält es stand,
jetzt frißt es zierlich aus der Hand;
seht, wie's die Augen putzt!
Der Vater kommt; nun geht der Spaß
erst recht von neuem los:
O Vater, komm, erzähl uns was
vom Kätzchen, das das Mäuslein fraß;
komm, nimm mich auf den Schoß!
„Es war einmal ein Kätzchen schlau
und eine dumme Maus;
schwarz ist die Katz', das Mäuschen grau;
gar freundlich ruft die Katz': Miau!
Komm Mäuschen, komm heraus!
Lieb Kindlein, trau der Katze nicht!
so warnt die alte Maus.
Nicht hört es, was die Mutter spricht;
gefressen wird der arme Wicht —
nun ist das Märchen aus."
Jetzt, liebe Kinder, geht zur Ruh!
Schon schlägt es draußen acht.
Hübsch aufgeräumt, den Deckel zu!
Gieb noch ein Küßchen mir und du —
und du noch eins; gut' Nacht!
35. Rätsel.
Ich bin am wärmsten, wenn's am kült'sten ist,
und bin am kült'sten, wenn's am wärmsten ist;
int Sommer läßt man mich verächtlich stehn,
im Winter streichelt man mich schön.
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54
Ja wäre er ganz allein in der Welt,
er bliebe gewiß ein rechter peld.
Nun hört er von fern eine Peitsche schallen,
da ist ihm gleich der Blut gefallen,
sieht nicht erst noch einmal näher zu,
lauft aus und davon in einem Nu.
89. Der Anstand.
(Curlman.)
Weine Mutter wollte gern einen Hasenbraten haben, weil Besuch
kommen wollte. Da sagte sie zu dem Onkel: „Eei doch so gut und
schaffe mir einen 4)äsen." Er war gleich bereit, und ich durste auch mit-
gehen. Gegen Abend lud der
Onkel seine Flinte, und wir
gingen langsam nach dem
Walde zu' denn vor der
Dämmerung dursten wir nicht
ankommen. Als wir im Wal-
de waren, suchte der Onkel
einen schönen Platz; vor uns
lag eine Wiese, welche überall
von Bäumen eingefaßt war.
Wir setzten uns auf einen
Stein hinter einen Busch und
waren mäuschenstill. Zuerst
kam ein Reh aus dem Walde,
ein gar niedliches Tierchen,
rötlich mit kleinen pörnerchen,
mit hellen Augen und zier-
lichen Beinen. Aber der
Onkel schoß es nicht, weil
es nicht Zeit war, Rehe zu
schießen, und weil die Mutter bloß einen Hasenbraten begehrt hatte. Das
Rehchen fraß ganz ruhig fein Gras und sprang vor Vergnügen hierhin
und dorthin. Über eine Weile rasselte es in den Blättern des Gebüsches,
und ein pafe hüpfte in weiten Sprüngen heraus, dann setzte er sich,
spitzte die Ohren und machte ein Männchen, pernach fraß er Gras, bis
er endlich ganz nahe vor uns kam. Da machte er noch einmal ein
Männchen; aber es bekam ihm schlecht; denn der Onkel hatte unter-
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55
dessen sein Gewehr angelegt und aus den armen thasen gezielt; blitz, gab
es ^cuer, und kr lall, lag der chafe aus denr Grase. Das erschrockene
Reh floh, so schnell es konnte, in den Wald; der Aaro aber sprang
hin und brachte den geschossenen chafen in seinem Maule herbei, setzte
sich so vor uns und wartete, bis der Onkel ihn abnahm und in den
Ranzen steckte. Nun war es fast dunkel, und wir eilten, daß wir nach
chause kamen.
90. Warnung.
(Aiischütz.)
Fuchs, du hast die Gans gestohlen,
gieb sie wieder her!
Sonst wird sie der Ästiger holen
mit dem Schießgewehr.
Seine große, lange Flinte
schießt aus dich den Schrot,
daß dich färbt die rote Tinte,
und du bist dann tot.
Liebes Füchslein! Laß dir raten,
sei doch nur kein Dieb!
Nimm, du brauchst nicht Gänsebraten,
mit der Maus fürlieb!
91. Rätsel.
Tin Schaft und ein Rohr,
ein Schloß liegt davor,
ein Stock steckt daran;
greis's ja nicht an!
92. Rätsel.
Ohren hat es lang, ein Schwänzchen hat es kleill,
wie der wind läuft es in den Wald hinein,
der Jäger mit chund und Flinte hinterdrein.
In seiner Tasche bringt er es nach chaus,
die Aöchin zieht ihm das chelzchen aus
und macht einen köstlichen Braten daraus.
99. Der Fuchs und die Weintrauben.
(Fabel nach Äsop.)
Der Fuchs sah au einer Gartenmauer köstliche Weintrauben und
wollte davon naschen. Tr sprang in die chöhe; aber sie hingen gar
hoch, und er konnte sie nicht erreichen. Zuletzt that er noch einen kräf-
tigen Sprung und fiel darüber rücklings zur Trde.
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60
Die Mühle dann Hink ihre Räder bewegt:
Klipp, klapp!
Und schenkt uns der Himmel nur immerdar Brot,
so sind wir geborgen und leiden nicht Not!
Klipp, klapp! klipp, klapp! klipp, klapp!
1 Ob. Der Teich.
(Curtman.)
Nicht weit von der Mühle ist ein Teich, dessen Wasser
so breit ist, dass man keinen Steg darüber legen, nicht ein-
mal mit einem Steine darüber werfen kann. In diesem Teich
sind Fische, grosse und kleine, bräunliche und gräuliche,
die schwimmen hin und her und sind bald oben auf der
Fläche, bald unten auf dem Grunde. Wirft man ihnen ein
Bröckchen Brot ins Wasser, so schwimmt ein ganzer Trupp
herbei und schnappt darnach. Anfangs sind es nur kleine
Tischchen, welche sich sammeln; hernach kommen aber
auch grössere: Karpfen, so breit, wie meine Hand, und
Hechte, so lang wie mein Arm. Vor den Hechten fürchten
sich die anderen; denn sie sind Raubfische, sie haben scharfe
Zähne und heissen die kleinen Tischchen tot und fressen
sie. Und ihr könnt euch auch hüten, dass euch kein Hecht
in die Finger heisst. Der Müller will auch die kleinen
Tischchen nicht alle gefressen haben und lässt deshalb nicht
viele Hechte in dem Teiche. Wollt ihr wissen, wie er sie
fangt? Ich habe ihm einmal zugesehen. Da nahm er
einen Angelhaken von Stahl, der war sehr spitz, band eine
lange Schnur daran und befestigte sie an einen Stock; das
Ganze nannte er seine Angel. Nun nahm er einen Regen-
wurm unter einem Steine heraus, steckte diesen so in den
Haken, dass man die Spitze nicht sah, und dass man meinte,
der Wurm schwimme im Wasser. Hierauf setzte er sich
ganz ruhig an das Ufer und liess die Angel in das Wasser
hängen. Uber eine Weile kam ein grosser Hecht, betrachtete
den Wurm und dachte: „Ei der soll mir gut schmecken.“
Geschwind fuhr er darauf los, sperrte sein Maul weit auf
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63
Doch sieh, jetzt macht Herr Langbein einen krummen
Rücken, breitet seine Flügel aus, zieht die langen Beine
rückwärts und fliegt fort. Dort auf der sumpfigen Wiese
stolziert er würdevoll umher, sucht nach Fröschen und
spielst einen jeden derselben mit seinem schwertähnlichen
Schnabel an. Der arme Sumpfmusikant quakt, zappelt im
Schnabel seines Feindes, muss aber schliesslich ohne Er-
barmen in den grossen Storchmagen hinunterspazieren. Der
Storch ist recht eigentlich zum Froschspiefsen und Sumpf-
waten gemacht. Wofür hätte er sonst den langen Schnabel,
den langen Hals und die langen, dürren Beine, sowie die
Schwimmhaut zwischen seinen Vorderzehen ? Sein Nest baut
er von Dornen und Stroh und brütet darinnen in drei Wochen
vier bis fünf Junge aus. Ende August zieht er mit seinen
flügge gewordenen Jungen nach wärmeren Ländern und
kehrt erst Ende März wieder zu uns zurück.
107. Ein schweres Rätsel.
(Hoffmann von Fallersleben.)
Auf unsrer Wiese gehet was,
watet durch die Sümpfe,
es hat ein weifses Jäcklein an,
trägt auch rote Strümpfe,
fängt die Frösche schnapp wapp wapp,
klappert lustig klapp er di klapp —
wer kann das erraten?
Ihr denkt, es ist der Klapperstorch,
watet durch die Sümpfe,
er hat ein weifses Jäcklein an,
trägt auch rote Strümpfe,
fangt die Frösche schnapp wapp wapp,
klappert lustig klapp er di klapp; —
nein, nein! ’s ist eine Störchin.
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Extrahierte Personennamen: Langbein August Hoffmann_von_Fallersleben
107
Strümpfen und Tuch liefert, Talg zu Seife und Lichten, Leder zu
Schuhen und Handschuhen, Saiten zu Violinen und dem großen Brumm-
basse und endlich schmackhaften Braten. Und das alles giebt uns das
Schaf reichlich, weshalb man es auch seit den ältesten Zeiten zum Haus-
tiere gemacht hat. Die Bibel erzählt, daß Abel, der fromme Sohn des
ersten Elternpaares, ein Schäfer gewesen sei.
Junge Schäfchen springen so lustig umher wie Kinder; alte haben
dagegen einen bedächtigen Gang und sehen immer ernst aus.
171. Das geschorene Schäfchen.
(Staub.)
1. Ein Schäfchen wurde zum ersten Mal geschoren, und es hielt ge-
duldig stille. Als es aber geschoren war, wurde es traurig; denn es fror
sehr, so daß das arme Tierlein am ganzen Leibe zitterte. Und das sah
der liebe Gott im Himmel, liitb er schickte ein warmes Lüftchen und
schönen Sonnenschein. Da wurde das gute Schäfchen wieder munter
und froh.
2. Das Schäflein hatte einer Bäuerin gehört, und die Bäuerin hatte
ein kleines lustiges Büblein. Es war aber Winter geworden. Da war
das Büblein nicht mehr lustig; denn es war so kalt, und das Büblein
zitterte oft vor Frost. Die Mutter aber strickte ihm aus der Wolle des
Schäfleins ein warmes Leibchen und ein Paar warme Strümpfe ititi)
legte alles dem Büblein an. Da wurde es wieder lustig und munter,
und es freute sich, daß der liebe Gott ihm das Schäfchen gegeben, das
so warme Wolle für die Menschen hat.
172. Rätsel.
Es ging ein Tier die Straß' entlang,
das hatte Ohren, wer weiß wie lang,
vier Beine und ein graues Fell.
Nun rate mir das Tierlein schnell!
173. Der beladene Esel.
(Fabel. — Nach Äsop.)
Ein Esel, der mit Salz beladen war, mußte durch ein Gewässer
gehen. Mitten in demselben legte er sich aus einige Augenblicke nieder,
und als er wieder ausstand, fühlte er sich um einen großen Teil von
seiner Last erledigt, weil das Salz im Wasser zerflossen war. Den
Kunstgriff will ich mir merken! dachte er, und setzte seinen Weg fort.
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111
sie an ein frisches, klares Wässerchen und sahen, daß es gut zum Trinken
war. Das Hähnchen wollte sich sogleich darüber her machen, aber das
Hühnchen sagte: „Nein, liebes Hähnchen, noch nicht! Warte doch noch ein
wenig, bis du kühl bist. Ich trinke ja auch nicht eher." Allein das
Hähnchen war eigensinnig und trank, so viel ihm nur schmeckte. Doch
ehe sie nach Hause kamen, wurde es plötzlich krank und mußte aus deut
Felde liegen bleiben. Das Hühnchen lief eilends ttach Hanse und brachte
ihm Hilfe. Der Arzt machte auch endlich das Hähnchen wieder gesund;
allein es mußte lange im Bette liegen, viel bittere Arzenei nehmen und
viele Schmerzen leiden.
Nun glaubte das Hühnchen, das unvorsichtige Hähnchen habe doch
endlich warten gelernt. Aber als der Winter kam und das Wasser zufror,
da wollte das Hähnchen doch wieder ans das Eis gehen, ehe es noch fest
gefroren war. Da sagte das Hühnchen: „Liebes Hähnchen, ich bitte dich,
warte nur noch einen einzigen Tag; dann wollen wir zusammen auf das
Eis gehen." Aber das Hähnchen folgte auch diesmal nicht. Es ging
fort ans das dünne Eis, brach ein und ertrank.
178. Dorfmusik.
(Tieffenbach.)
Hoch auf dem Zaun der Gockelhahn
fängt die Musik mit Krähen an;
die Hühner stimmen lustig ein,
die Gans will auch nicht stille sein.
Die Ziege meckert in dem Stall,
es blöken laut die Schäflein all',
es bellt der Hund, und grunzend schrein
die Schweine alle, groß und klein.
Das Spätzlein selbst mit hellem Klang
stimmt an den lieblichsten Gesang;
im tiefsten Basse brummt dazu
im Stalle hier die alte Kuh.
Die Drescher in der Scheune dort,
sie schlagen flink in einem fort
den Takt dazu, daß laut es knallt
und weit durchs ganze Dorf hinschallt.
Das quiekt und schreit, das pfeift und summt,
das klopft und grunzt, das blökt und brummt! —
Wer hört je in der Stadt solch Stück? —
Das ist die lnst'ge Dorsmnsik! —
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77
Der kleine Knabe lebte in Amerika und wurde nachher ein
braver Mensch und dazu ein gewaltiger General, hat auch sein
Leben lang die Lüge gehaßt. Er hieß Georg Washington.
128. Fritz Ob erlin.
(Rothert.)
Fritz Oberlin, der zwölfjährige Sohn eines wackern Pro-
fessors in Straßburg, ging eines Tages über den Markt. Da
sah er, wie einige ungezogene Knaben einem Bauernweib ihren
Korb mit Eiern vom Kopfe stießen. Das Weib war trostlos.
Fritz sieht die Buben mit einem durchbohrenden, strafenden Blick
an, schilt ihre Unart mit dem ihm eigenen Mute tüchtig aus
und tröstet das weinende Weib. Dann bittet er sie, etwas zu
warten, inib läuft spornstreichs nach Hause zu seiner Sparbüchse,
die, wie er weiß, voll ist. Im Fluge kommt er zurück, schüttet
den ganzen Inhalt der Sparbüchse in die Schürze der über-
raschten Bäuerin aus und ist auch sogleich wieder fort, ohne
ihren Dank abzuwarten.
Ein andermal kam er auf dem Markte zu Straßburg an
der Bude einer Kleinhändlerin vorbei. Er sah, wie eine alte,
arme Frau vergeblich bemüht war, von dem Preise eines Klei-
dungsstücks, das sie notwendig brauchte, etwas abzuhandeln. Der
Alten fehlten noch einige Pfennige an der kleinen Summe, von
welcher die Trödlerin nicht abgehen kann und will. Mehr aber
hat nun einmal jene nicht, als sie bietet. Traurig geht sie wei-
ter. Da springt Fritz zu der Trödlerin hin, drückt ihr das noch
fehlende Geld in die Hand und sagt leise zu ihr: Rufet jetzt
die arme Frau zurück und lasset ihr den Rock! Darauf läuft er
davon.
129. Der Schmied.
(Curtman.)
Neben dem Hause meiner Eltern wohnte ein alter Schmied,
ein gar guter Mann, obgleich er schwarz im Gesicht aussah, so
daß manche Kinder sich vor ihm fürchteten. Ich fürchtete mich
aber nicht, sondern ging alle Tage zu ihm und sah ihm zu, wie
er in seiner Werkstatt arbeitete. Da zog er einen großen Blas-
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Extrahierte Personennamen: Georg_Washington Fritz Rothert Fritz_Oberlin Fritz Fritz
113
Neste in einen Bauer, beffeit Thüre aber offen war. Ein kleines Näpfchen
zum Saufen und ein Kästchen mit Futter wurde ebenfalls hineingestellt.
Der Sperling wurde völlig groß und wohnte gern in dem Neste des
Bauers und schlief des Nachts in demselben. Am Tage flog er frei in
der Stube umher und scheute sich vor niemand; aber mit Karolinen that
er sogar bekannt, er flog auf ihren Kopf, er setzte sich ans ihren Schoß,
und wenn sie an dem Tische saß und las oder schrieb, so hüpfte er un-
besorgt vor ihr herum, pickte in den hingehaltenen Finger, ließ sich mit
dem Finger streicheln und sogar sich greifen. Dadurch wurde der Bogel
Karolinen sehr lieb.
3.
Den ganzen Winter über blieb der Vogel bei Karolinen. Da aber
das Frühjahr kam, und die Tage wieder wärmer und länger wurden,
da lebten auch die Sperlinge draußen wieder ans und zirpten und zwit-
scherten. Der Sperling in der Stube hörte das, und wiewohl er anfangs
eben nicht darauf achtete, so schien er doch mit der Zeit immer aufmerk-
samer darauf zu werden; er flog ans Fenster, die andern Sperlinge 31t
suchen, und zirpte ebenfalls, aber, wie es Karolinen vorkam, nicht so lustig
als die, welche im Freien waren. In der That verlor das kleine Geschöpf
fast alle Munterkeit, die es gehabt hatte. „Was mag ihm nur fehlen?"
fragte Karoline; „er frißt und säuft nicht mehr wie sonst." —
„Ihm fehlt viel, liebes Kind," antwortete ihr die Mutter. „Er ist
hier einsam und hört die andern draußen lustig zwitschern. Da wird
das Verlangen nach ihnen rege; er möchte gern bei seinesgleichen sein
und mit ihnen überall umherfliegen; dann erst wäre ihm wohl!"
Karoline hatte genau gemerkt, was die Mutter sagte. Sie wartete
einen Tag und noch einen, ob ihr Liebling nicht wieder lustig und wohl-
gemut werden würde, aber er wurde es nicht. Stundenlang saß er am
Fenster still auf einem Orte, dann und wann zirpte er einmal ganz kläg-
lich, und nur dann regte er sich lebhafter, wenn er einen andern Sperling
fliegen sah.
„Mutter," sagte jetzt Karoline, „ich will den Sperling heraus lassen;
er sehnt sich gar zu sehr nach den anderen und will nicht wieder froh
werden."
„Läßt du ihn auch gern weg?" fragte die Mutter.
„Nicht recht gern," antwortete Karoline, „er ist mir so lieb, weil ich
ihn aufgefüttert habe; aber ehe er sich grämen soll, will ich ihn lieber
frei lassen."
Gabriel u. Supprian, Lesebuch. D. l.
8
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Extrahierte Personennamen: Karoline Karoline Karoline Karoline Gabriel